Marcus Wilhelm und Armin Raatz sprechen über die Riedwiesen© Diana Wetzestein, KEEA

100 und nicht nur 3


Über einen Tag Riedwiesen-Geschichte im Hessenpark – Marcus Wilhelm und Armin Raatz im Gespräch mit Denkmalschutz und Denkmalpflege – von Diana Wetzestein, KEEA

Die einen haben gar keine, die anderen sehr viele. Im Schnitt sind es deutschlandweit „nur“ drei Prozent denkmalgeschützte Gebäude. Diese energetisch zu modernisieren, ist und bleibt eine Herausforderung. Beim 9. Hessischen Denkmalgespräch wird die Diversität, mit der die Frage danach, wie die Denkmäler durch die Energiewende geführt werden können, deutlicher denn je. Zeitenwende.

Der Fruchtspeicher aus Trendelburg steht im Hessenpark und ist dort Veranstaltungs-Location.© Diana Wetzestein, KEEA
Der Fruchtspeicher aus Trendelburg steht im Hessenpark und ist dort Veranstaltungs-Location.

13. Oktober 2023_Hessenpark-Neu Anspach. Vorbildliche Konzepte, interessante Einblicke. Beim 9. Hessischen Denkmalgespräch wurde das Freilichtmuseum Hessenpark zur Bühne. Unter dem Titel „Das Ganze im Blick – energetische Ertüchtigung im oder am Denkmal als Gesamtkonzept“, wurden etwa 150 Teilnehmende begrüßt. Uli Thümmler, Propstei Johannesberg und Jan Ermel, Denkmal Akademie der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, hatten in den Fruchtspeicher aus Trendelburg geladen. Dort versprach der Hausherr Jens Scheller, Geschäftsführer des Freilichtmuseums, den Blick auf den Denkmalschutz aus unterschiedlichen Perspektiven. Am Ende sollte die Bandbreite der Maßnahmen und die Notwendigkeit einer guten Kommunikation zwischen allen Beteiligten deutlich werden. Genau das ist das Alleinstellungsmerkmal dieser Denkmalgespräche.  

Henriette v. Preuschen spricht für das Landesamt für Denkmalpflege.© Diana Wetzestein, KEEA
Henriette v. Preuschen spricht für das Landesamt für Denkmalpflege.

„Das Themenfeld Denkmal- und Klimaschutz erfordert mehr denn je eine kontinuierliche Vernetzung der Akteure, um den Informations- und Wissensaustausch zu verstetigen. Dafür ist auch das Hessische Denkmalgespräch ein wunderbares Format“, sagte Dr.-Ing. Verena Jakobi, Abteilungsleiterin Bau- und Kunstdenkmalpflege im Landesamt für Denkmalpflege Hessen. Dr. Jakobi ließ ihre Kollegin Henriette von Preuschen den Vortritt beim Impulsvortrag, sie stimmte auf einen interessanten Tag ein. „Wir alle wollen etwas für den Klimaschutz tun. Die energetische Verbesserung von Kulturdenkmälern – und ihr Beitrag zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz – sind seit Jahren wichtige Themen in der Denkmalpflege. Eine zusätzliche Projektgruppe in der Bau- und Kunstdenkmalpflege widmet sich seit Anfang dieses Jahres intensiv diesem Anliegen“, so von Preuschen.

Neue Partner, wie die Landes Energie Agentur Hessen (LEA), ergänzten die bewährte Zusammenarbeit mit der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, dem Freilichtmuseum Hessenpark, der Propstei Johannesberg. „In dieser Zusammenarbeit ist eine neue Informationsplattform zum Thema Denkmalschutz und Energiesparen unter www.denkmalschutz-und-modernisieren.de entstanden. Diese haben wir gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der LEA und Diana Wetzestein von der Klima und Energieeffizienz Agentur GmbH in einem intensiven Austausch entwickelt“, sagte sie. Der fachliche Grundstein dafür wurde im Sommer 2022 im Hessenpark gelegt, als Handwerker:innen, Architekt:innen, Planer:innen und Denkmalpfleger:innen, mit Energieberater:innen und den Fachleuten aus dem Hessenpark einen Leitfaden erarbeiteten. Mit ihrem Appell und dem Bedürfnis, „etwas zum Klimaschutz beizutragen, auch außerhalb unseres Berufs“, gab sie den Impuls, viele neue Ideen und Kontakte untereinander auszutauschen und sich für zukünftige Projekte inspirieren zu lassen.

Raatz und Wilhelm beim Vortrag im Hesssenpark.© Diana Wetzestein, KEEA
Im großen Fruchtspeicher aus Tredelburg wird der Vortrag von M. Wilhelm und A. Raatz mit großem Interesse verfolgt.

Anhand eines Werkstattberichts von Marcus Wilhelm, Vorstand der Erbbau-Genossenschaft Kassel eG und Armin Raatz, Geschäftsführer der KEEA Klima und Energieeffizienz Agentur GmbH, wurde das KfW-Programm 432 – Energetische Stadtsanierung am Beispiel der Gesamtanlage Riedwiesensiedlung vorgestellt. Dabei handelt es sich um eine zehn Hektar große Siedlungsfläche, auf der alle 101 Häuser, mit insgesamt 18.200 Quadratmetern Wohnfläche, unter Denkmalschutz stehen. Dennoch müssen sie den, durch die Genossenschaftssatzung festgeschriebenen, Zweck erfüllen und „vorrangig eine gute, sichere und sozial verantwortbare Wohnungsversorgung der Mitglieder sicherstellen.“ Die Transformation der Energieversorgung ist dort keine leichte Aufgabe.

„Wir müssen den Energiebedarf senken, über Photovoltaik, Solarthermie, Naturschutz und Klimaschutz nachdenken, dabei den Mieterschutz beachten und den Denkmalpfleger fragen, ob unsere Vorschläge dort auch Anklang finden“, sagte Marcus Wilhelm. Über den Hinweis einer Bewohnerin der Siedlung auf das Förderprogramm 432 sei er sehr froh gewesen. Der Antrag dazu wurde von der Stadt Kassel gestellt, die KEEA GmbH arbeitet gemeinsam mit allen Aktiven im Quartier das Sanierungskonzept aus. Bereits jetzt stehe fest, dass mit niedriginvestiven Maßnahmen, wie der Dämmung von Kellerdecke, Dachgeschossboden oder der Hohlwand-Einblasdämmung, enorme Einsparungen bei der Endenergie zu erreichen seien. „Die Menschen in der Siedlung haben das Know-how, das wir brauchen, um unsere Gebäude energetisch zu verbessern und die Siedlung insgesamt aus anderen Perspektiven zu betrachten. Energieberatung, Handwerk, Architektur, Naturschutz, aber auch Designer:innen und Unterstützer:innen, aus allen Bereichen machen sie mit“, so Wilhelm, der sich vom „432“, nach erster Skepsis, jetzt begeistert zeigte.

Vor allem Armin Raatz warb für dieses Programm und dafür, die damit einhergehenden Chancen zur integrierten Quartiersentwicklung zu nutzen. „Themen wie Energie, Klimaschutz oder -anpassung, Stärkung der Quartiersgemeinschaft, der Abbau von Barrieren, die Mobilität oder Baukultur und öffentlicher Raum​ können bei diesem Programm mit einbezogen werden“, so Raatz.
Die erste Konzeptphase, in der sich jetzt auch die Riedwiesensiedlung befinde, liefe maximal 1,5 Jahre. „Es gibt dafür einen Zuschuss von 75 Prozent von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und zusätzlich noch 15 Prozent vom Land Hessen. Für finanzschwache Kommunen gibt es einen erhöhten Zuschuss von 20 Prozent. Die Begleitung der Maßnahmen kann bis zu fünf Jahren von einem dafür einzustellenden Sanierungsmanagement erfolgen. Auch das wird in gleicher Höhe gefördert“, so Raatz. Die Antragstellung sei einfach und kombinierbar mit allen anderen Förderprogrammen.

„Wenn wir nicht mehr in der Lage sind, die Denkmäler zu sanieren und weiter zu nutzen, werden wir sie nicht erhalten können“, sagte Jakob Graf von Eltz. Die energetische Sanierung seines Adelshofes, dem Eltzer Hofes in Eltville, stellte er vor. Nach einer kurzen Einführung von Kristin Schubert, Landesamt für Denkmalpflege Hessen, berichtete Graf von Eltz über den Weinanbau, die Wohn- und Wirtschaftsgebäude im Wandel der Zeiten. Seit 1629 in Familienbesitz, bis heute kümmert die Familie sich um mit großer Eigenleistung sowie Hilfen von Bund und Land um den Erhalt. Seit 2015 unterstützt auch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) die Restaurierung des Eltzer Hofs. Das stadtbildprägende Ensemble in Eltville, mit großer Garten- und weitläufiger Kelleranlage, soll Wohnraum für die Menschen in der Region bieten. Von der Idee in die Umsetzung ist es ein langer Weg, der bisweilen Überraschungen bietet, mit denen niemand gerechnet hatte. „Wir können Ferienwohnungen einbauen, aber keine Mitwohnungen, weil der bis in die 1970er Jahre als Weingut bewirtschaftet Hof in den Bauakten immer noch als Weingut geführt wird, obwohl er das schon über 50 Jahre nicht mehr ist“, so von Eltz.
Architekt Stephan Dreier berichtete im Anschluss von einer Zwischendecke unter dem Fußboden im Erdgeschoss. Auch so etwas hatten Bauherr und Architekt noch nie gesehen, die Fotos dieser „Belüftungsanlage, die aus dem frühen 20. Jahrhundert stammen könnte“, überraschten auch die Anwesenden beim Denkmalgespräch.

Das unscheinbare, verputzte und in die Jahre gekommene Fachwerkhaus in Hochheim, Hintergasse 46, barg ebenfalls einen Schatz, den wohl kaum jemand an dieser Stelle vermutet hatte. Als Tobias Grollius und Lars Wisotzky das alte Haus kauften, hatten sie bereits ein Fachwerkhaus in der Nachbarschaft saniert. Da lag das nächste Haus noch versteckt hinterm Zaun, umgeben von Bausünden, Blumen und Beeten. Dass dieses Gebäude aus dem Jahr 1681 unter der Putzfassade Schmuckfachwerk wie Bauerntanz und genaste Andreaskreuze für sie parat haben würde, ahnten sie nicht und dass es sich um ein transloziertes Rathausgebäude handelt, ebenfalls nicht. Der Vortrag, den Lars Wisotzky gemeinsam mit Generalunternehmer Dieter Assmann hielt, lieferte eindrucksvolle Bilder und eine wunderbare Erzählung über eine Reise in Vergangenheit und Zukunft eines Gebäudes. Mit Happy End, denn nach einer energetischen Sanierung mit ökologischen Baustoffen, war ein modernes Wohnhaus für zwei IT-Spezialisten mit Smart Home-Systemen, moderner Lichttechnik und einer Vorbildfunktion von Denkmalpflege für nachhaltiges Bauen entstanden. Dafür wurden das Haus Hintergasse 46 im März 2023 von Angela Dorn, Kunst- und Kulturministerin in Hessen, zum „Denkmal des Monats“ gekürt.

Diana Wetzestein bei ihrem Vortrag über Ressourcen schonen beim Bauen.© Cindy Wlodarczyk_LfDH
Diana Wetzestein bei ihrem Vortrag über Ressourcen schonen beim Bauen. Foto: Cindy Wlodarczyk_LfDH

„Ressourcen schonen am Bau“, hieß es im vierten Block. Diana Wetzestein, Journalistin und Mitarbeiterin der KEEA GmbH, hielt den Impulsvortrag und gab einen kurzen Einblick in den Mehrwert von Fachwerkmusterhäusern. Der Hessenpark hat eins, aber auch die Kleinstadt Wanfried an der Werra kann in ihrem Musterhaus Sanierungswillige vor Ort über substanz- und ressourcenschonende, energetische Sanierung von Fachwerkgebäuden beraten. „Der Energieverbrauch muss drastisch reduziert werden, um die Häuser mit Wärme und Strom aus erneuerbaren Energien versorgen zu können. Nur so können wir den Flächenverbrauch für die Erzeugung Erneuerbarer Energien im Zaun halten“, sagte sie. „Das Ziel, die Klimaneutralität in städtischen und dörflichen Quartieren zu realisieren, gelänge nur, wenn alles, was an erneuerbaren Energien im bewohnten Quartier anfalle und verfügbar sei, bestmöglich gewonnen werde könne“, zitierte sie am Ende des Impulsvortrages damit Prof. Harald Garrecht, Universität Stuttgart und Mitglied der Arbeitsgruppe Fachliche Fragen in der Denkmalpflege im Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz. Mit Diana Wetzestein, Martin Horsten, Abteilungsleiter UDB Wiesbaden und Heike Notz, Kompetenzzentrum Fachwerk im Freilichtmuseum Hessenpark, war diese Arbeitsgruppe beim 9. Hessischen Denkmalgespräch stark vertreten.

Bevor Prof. Garrecht zu Wort kam, ging es im Beitrag von Siegfried Becker, Philipps-Universität Marburg, um die Geschichte von Backhäusern, Schwimmbädern und Waschhäusern zur gemeinsamen Energienutzung. Becker erklärte, die Nutzung von Gemeinschaftsbackhäusern habe nicht nur der Feuerprävention gedient, sondern sei vor allem dem Mangel an Brennholz geschuldet gewesen. „Im Siebenjährigen Krieg, als die Wälder größtenteils zerstört waren, mussten hauseigene Backöfen stillgelegt werden. Gemeinschaftsbackhäuser mussten genutzt werden“, so Becker. Der Bau von Waschhäusern sei für die Frauen, die an Flüssen und Bächen die Wäsche wuschen, eine wichtige Einrichtung gewesen. Die Arbeit am fließenden Wasser sehr gefährlich und die Arbeit sehr schwer. Ein historisches Wasch-Becken gibt es auch im Hessenpark, das gibt einen guten Eindruck von der harten Arbeit für die saubere Wäsche.  

Prof. Harald Garrecht plädiert für denkmalgerechte Lösungen und sucht aktiv danach.© Diana Wetzestein, KEEA
Prof. Harald Garrecht plädiert für denkmalgerechte Lösungen und sucht aktiv danach.

Mit seinem Vortrag über Klimawandel und Denkmalschutz gab Prof. Garrecht einen Einblick in neueste Forschungsergebnisse im Bereich der Energiespeicherung durch Solaranlagen. Gerade würden zwei Gebäude auf einen effizienten Energieversorgungsansatz hin überprüft, indem sie mit thermisch und elektrisch aktivierten, solarhybriden Dachsteinen (SHDS) belegt worden seien. Zudem laufe ein großes Forschungsprojekt im UNESCO Weltkulturerbe, der Hamburger Speicherstadt, mit innovativen Energie-Erzeugern und Speichern. „Wir testen, wie die in den Sommermonaten lokal verfügbare Solar- und Umweltwärme und der PV-Strom für die Nutzung in den Wintermonaten gespeichert, also zwischengelagert werden kann. Die Dachlandschaft der Speicherstadt hat mit 60.000 Quadratmetern Fläche hier das größte Potenzial“, so Garrecht. Man rechne mit 14.000 MWh thermisch erzeugter und 4.800 MWh elektrisch erzeugter Energie. „Dafür haben wir, gemeinsam mit unseren Projektpartnern, eine solarhybride Kupferblechnachbildung gebaut. Die Energie wird im Eisspeicher, einem hydraulisch-pneumatischem Energiespeicher mit Druckluft sowie einem Wasser-Feststoff-Wärmespeicher geleitet, die in den Überflutungskellern des Gebäudes stehen. „Wir erforschen hier denkmalgerechte Lösungen und sind gespannt auf die Ergebnisse dieses Winters“, so Garrecht, der dem Hessischen Denkmalgespräch einen aussichtsreichen Abschluss bot.

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